Donnerstag, 24. Oktober 2013

Sal-Peter und seine 7 Töchter

Ein kosmisches Märchen

Vor vielen, vielen Halbwertszeiten und einigen Dipol-Momenten hatten Sal-Peters Eltern eine einsame Farm im Asteroidengürtel auf dem Planetoiden Cer und züchteten Radikale. Fruchtbare Magnetfelder erstreckten sich um das Anwesen und ergiebige Elektronenquellen sprudelten über die seltenen Erden. Aus den schnurgeraden Elektronenbahnen sprossen Jahr für Jahr die prächtigsten Radikale und waren so reaktiv, dass jeder seine Freude daran hatte. Die wertvollen und empfindlichen Radikale wurden nach der Ernte durch ein Fixierbad geschützt und sorgsam auf Puffern gelagert.



Sal-Peter war noch im Kristallwachstum, als ein besonders grausames Radikalfänger-Pärchen , Cystein und Melanine, die Farm überfiel. Sie neutralisierten die elektronische Abschirmung, überwanden die schützende Doppelschicht, zerbrachen die gußeisernen Muffen und Klammern an allen Einschlussverbindungen und transportierten die Radikale in Spin-Fallen ab. Ein zur Hilfe gekommener Ionenstrom kam zu spät, die Radikalfänger hatten die Nachweisgrenze bereits überschritten. Sal-Peters Eltern, das Kalium-Kation und das Nitrat-Anion, konnten nicht mehr gerettet werden - eine Redoxreaktion hatte ihre Ladungen neutralisiert. Sal-Peter lag im Wasserbad und war schon teilweise gelöst. Doch seine jugendlichen Bindungskräfte widerstanden noch. Er wurde von Spezialisten umkristallisiert, verbrachte einige Tage in der Trockenzelle und sein Kristallgitter war gerettet.



Die Ionen aus der Lanthaniden-Fraktion nahmen ihn wie ein Zwitter-Ion auf. Er wuchs bei ihnen auf, obwohl sie ihm die Mutterlauge nicht ersetzen konnten. Als Sal-Peter größer und älter wurde und zum wunderschönen Einkristall mit glänzenden Kristallflächen heranwuchs, erzählten sie ihm, was geschah, als er noch ein Kristallkeim war. Da schwor er den Radikalfängern Rache, band sie im Geiste an die Voltasche Säule oder steckte sie ins Glührörchen. Doch als sie eines Tages an der Erde vorbeikamen, wollte er, neugierig wie immer, eigentlich nur einen Abstecher machen und fand dabei seine künftige Frau, Dex-Trine. Sie war so süß anzuschauen, dass er blieb, und nicht viel später gingen sie eine Elektonenpaarbindung ein. Besonders morgens war er ganz verliebt, wenn sie neben ihm lag und die ersten Strahlen der Morgensonne keck polarisierte. Sie bekamen sieben Kinder: Elektro-Liese, Hydro-Liese, Pyro-Liese, Dia-Liese, Ana-Liese, Glyko-Liese und Solvo-Liese. Lange Zeit lebten sie glücklich und in Frieden. Doch Sal-Peter lehrte seine Töchter alles über die Radikalfänger und deren Schwächen. Jede seiner Töchter hatte eine besondere Kraft: Elekro-Liese besaß die elektromotorische Kraft; Hydro-Liese hatte die Macht über die Härte des Wassers; Pyro-Liese befahl den Oxidationsmitteln; Dia-Liese besaß die Kraft des Ionenaustausches; Glyko-Liese baute die gegnerische Stärke ab; Ana-Liese konnte mit dem Fällungsmittel jedes noch so große Ion niederschlagen und Solvo-Liese bewirkte die völlige Auflösung.

Als die Töchter alt genug waren bildeten sie eine Crack-Kolonne und brachen auf, um Rache zu nehmen. Die Frühlingssonne tauchte die Landschaft in Cassiusschen Goldpurpur, und der Himmel strahlte in seinem schönsten Berliner Blau, als sie durch chromgrüne Wiesen wanderten, in denen schon die ersten Schwefelblumen und infrarote Saccha-Rosen blühten. Tur-Bienen summten, Dreiwege-Hähne krähten. Küken waren gerade aus dem Normschliff geschlüpft, hier und da huschte ein Gasmaus durch das Gras.

Sie hatten Bologneser Tränen in den Augen, als sie den Ionenkanal betraten, der sie unbemerkt zur Schattenseite des Merkur brachte. Dort bewohnten die Radikalfänger das Orbi-Tal, doch bis dahin war es noch weit. Auf gefrorenem Eisessig überquerten sie den Diffusionsstrom trockenen Fußes. Eine Halbwertszeit später erreichten sie das Poly-Meer und setzten in Wägeschiffchen über. Immer wieder tauchten Trockeneisberge im Ammoniumchlorid-Nebel auf, doch dank ihrer Ionenbeweglichkeit wichen sie immer rechtzeitig aus.

Sie atmeten auf, als die Küste im Nebel erschien, blieben jedoch im Mega-Watt stecken und wateten stundenlang durch den Anodenschlamm, aus dem Schwefelwasserstoffblasen aufstiegen. Erleichtert spürten sie Stunden später festen Arsen-Kies unter den Kontaktschuhen, doch mieden sie jede direkte Berührung mit dem giftigen Boden. Am nächsten Tag überquerten sie eine heiße, trockene Knotenfläche, die in ultraviolettes Licht getaucht war; verdorrte Quadratwurzeln ragten hier und da aus dem Boden und nur die mitgebrachten Liebigkühler brachten etwas Linderung und verhinderten, dass sie in Siedeverzug kamen. Ihre Enttäuschung war groß, als der erste See, den sie erreichten, nur ungenießbares Bromwasser enthielt. Doch sie wussten Rat: einige Tropfen Flußmittel ließen zu ihren Füßen eine Elektronenquelle sprudeln, aus der entionisiertes Wasser floss und aus der sie tranken, bis sie gesättigt waren. Dann ging es hinab ins Ace-Tal. Aetherische Öle machten das Atmen beschwerlich und ihre Wanderungsgeschwindigkeit nahm ab. Da gab Sal-Peter allen einen kleinen Schluck Laufmittel und sie gelangten schnell und ohne Pause bis zur Erfassungsgrenze, die hinter dem Tal verlief. Nun wussten sie, dass der Wechsel-Strom nahe war. Wenige Amperestunden später sahen sie die ersten Tang-Enten auf dem oszillierenden Strom. Darunter verbargen sich die heimtückisch wirbelnden Magnetfische, die alles auflösten, was in den Fluss eintauchte. Und wieder wussten sie Rat: Aus dem am Ufer liegenden Schwefelkies bauten sie in aller Eile eine Disulfidbrücke, auf der sie sicher zum anderen Ufer gelangten. Jetzt galt es der Fehlerquelle aus dem Weg zu gehen. Sie hatte die Eigenschaft, jene, die aus ihr tranken, alles falsch machen zu lassen. Sal-Peter und seine Töchter aber hatten aus der letzten Quelle genug Kristallwasser in Woulfe-Flaschen mitgenommen und mieden die Fehlerquelle. So legten sie auch die letzten Photo-Meter zurück.

Dann sahen sie in der Ferne die unüberwindlichen Potentialwände der Radikalfänger-Stadt, dunkle Elektronenwolken bedeckten den bleigrauen Himmel. Sie sandten Boten-RNS aus um ihre Forderungen zu überbringen: Auslieferung von Melanine und Cystein, Entschädigung für den Überfall. Eine Iod-Uhr zeigte die Frist an, die sie den Radikalfängern gaben. Bis dahin verbargen sie sich in den zahllosen Zentri-Fugen und Mischungslücken. Doch die Boten-RNS brachte bald die Antwort: Ergebt euch, dann könnt ihr in der Photozelle bei Kalkmilch und Atomkernen weiterleben. Sonst erwartet euch der Wärmetod!

Darauf hatten sie nur gewartet: Solvo-Liese und Dia-Liese hatten sich bereits in die Stadt eingeschlichen, verborgen zwischen den Wellenpaketen auf einem hochbepackten Analysen-Wagen. Sie sollten von innen das Reak-Tor öffnen und den anderen einen Vakuum-Vorstoß ermöglichen. In der Dunkelheit nahmen sie all ihren Bis-Mut zusammen. Mehrzähnige Liganden bewachten das Tor und waren mit p-Orbitalen bewaffnet, doch Elektro-Lieses elektromotorische Kraft ließ sie lautlos zerfallen, so daß das Zentralatom nichts merkte. Mit Halb- und Wärme-Leitern überwanden sie die Zellwände rund um das Zentrum der Radikalfänger. Da wurden sie entdeckt und die galvanischen Batterien feuerten aus allen Rohren. Doch nun war die Stunde für Pyro-Liese gekommen, die den Oxidationsmitteln der galvanischen Batterien die Kräfte entzog. Mit Niels-Bohr-Maschinen entfernten die anderen bereits die Ionengitter von den Küvettenfenstern der semipermeablen Wand. In den Gängen trafen sie auf die Leibwächter, Ionen der überschweren Elemente, die ihre gigantischen d-Orbitale schwangen. Doch Ana-Liese konnte die üblen Gesellen mit dem Fällungsmittel niederschlagen.

Überraschend kamen ihnen noch einige Isopren-Einheiten entgegen, jede mit einem Helm-Holtz bewaffnet, die aber von Solvo-Liese kurzerhand aufgelöst wurden. So kämpften sie sich bis zum Festsaal vor und fanden dort die Radikalfänger aufgeregt und zum Letzten entschlossen. Doch Glyko-Liese hatte bereits damit begonnen, deren Stärke abzubauen und so sanken sie völlig unterzuckert zusammen. Hilflos wurden sie in einen Faradayschen Käfig von der Träger-RNS abtransportiert. Als sie die Räume durchsuchten, fanden sie in der Schatzkammer große Siedeperlen, bunt schimmernde Boraxperlen, goldenen Kronen-Ether und große Mengen kostbaren Königswassers.

Einen Citronensäurecyclus später waren sie zurück auf der Erde. Dort wurden die Radikalfänger dem Gleich-Richter vorgeführt. Nach Einsatz kräftiger Oxidationsmittel gestanden die meisten ihre Lac-Taten, und niemand widerstand dem ätzenden Flusssäure-Aufschluss. Cystein und Melanine wurden zur Zersetzung in der Ton-Zelle verurteilt, bei den anderen erhofft man sich eine Veränderung des Ionencharakters und tauschte das bösartige Phos-Gen gegen das Kolla-Gen aus. Und alle anwesenden Moleküle und Ionen waren erleichtert, die Radikalfänger entsorgt zu haben.

Sal-Peter und seine Töchter wurden von ihren Kons-Tanten und Lewis-Basen vor lauter Wiedersehensfreude abgenutscht; Dex-Trines Mega-Hertz machte vor lauter Freude einen Quantensprung. Beim anschließenden Festbankett bogen sich die Kacheltische unter den Köstlichkeiten: aromatische Moleküle waren zu Pyramiden aufgestapelt, knusprige Wägeschweinchen kamen aus dem Muffelofen und glänzten goldbraun; in Schliffett gebratene Heizpilze dufteten verführerisch und aus dem Bessemer-Kessel dampfte es. Das alles wurde mit dem obligaten Anaero-Bier heruntergespült. Zum Dessert gab es Lack-Mus, Re-Torten, Filterkuchen, und Natriumhydroxid-Plätzchen. Rohköstler fanden lediglich Glüh-Birnen und Thomas-Birnen. Überall hingen Silberspiegel, und Spektrallampen beleuchteten das bunte Treiben. Sogar der Chromato-Graf war gekommen und schillerte in allen Farben. Für Stimmung sorgte die Actiniden-Gruppe, die im Loga-Rhythmus rockte, jeder New-Ton und jeder Ace-Ton an der richtigen Stelle. Wolfram der Weise und Osram der Erleuchtete trugen Tri-Oden und An-Oden zum Lobe der Sieger vor.

Zwischendurch strömten die Gäste zur Milli-Bar, holten sich einen Cuban-Libre, einen Aspara-Gin oder ein edles Königswasser. Labor-Boys boten Blindproben aus Saugflaschen an, verteilten Cosi-Nüsse und Schlauch-Oliven. Nach diesem Fest am 1. April lebten alle noch viele Lichtjahre und erst in hohem Alter erhielten ihre Kristallgitter einige Fehlstellen.
 

Autor: Norbert Lüdtke

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